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Zurück ins Süßwasser

Whatsapp von Tina gestern: … „Heute um 18 Uhr bin ich wieder in meiner Pilatesgruppe. Freu mich total drauf, obwohl ich echt noch die ganze „Sache“ irgendwie in den Knochen spür und sehr müde bin!! Wie geht es dir denn, hast du schon alles verarbeitet???…“

Echt gute Frage! Habe ich?

Tina und Bernd sind in Wuppertal, genießen ihre Enkelkinder (Sooo goldig! Neid! Neid!) und stecken gerade ihre gesamte Energie in die Verschönerung ihres Gartens. Christoph und ich sind seit 3 Tagen in Gütersloh zur Unterstützung meiner Mutter. Nach 4 Monaten ist es an der Zeit, meine Schwester abzulösen, die gestern wieder in ihre eigene Wohnung gezogen ist.

Haben wir die ganze „Sache“ (interessanter Ausdruck!) schon verarbeitet?? Das wird wahrscheinlich doch noch ein Weilchen dauern. Besonders Christoph genießt es, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Ich habe mich sehr gefreut, Mutter und Schwester wiederzusehen, merke aber, dass ich „an Land“ mehr Heimweh habe. Mir fehlen unser Zuhause in Aschau und meine Freunde daheim.

Kaum zu glauben, aber es ist erst 2 Wochen her, dass wir in IJmuiden unsere große Reise beendet haben. Das Glücksgefühl der Ankunft werden wir so schnell nicht vergessen! Es gemeistert zu haben! Endlich wieder Land unter den Füßen spüren!! Der Weg zum Frühstück in unser zukünftiges Stammlokal „Zilt aan Zee“ gerät noch etwas wackelig und der Tisch und die Stühle im Lokal schwanken noch etwas. Das legt sich aber nach der 1. Flasche Prosecco, mit der wir zusammen mit unserem Begrüßungskomitee auf uns „Champions“ anstoßen. 6 Tage waren wir in IJmuiden, keinen einzigen Tag haben wir an Bord gekocht! Ab dem 3. Tag haben sie uns im ZILT schon ungefragt erstmal 2 große und 2 kleine Bier hingestellt. Was haben wir letztlich doch für ein Glück mit dem Wetter gehabt: Am 2. Tag fängt es an zu stürmen, 4 Tage lang mit durchgehend 8 Windstärken! Festina, die näher am Strand liegt, wird regelmäßig unter einer Sandschicht begraben, den Schaden bei Ithaka haben wir erst später festgestellt. Da sie tagelang längsseits auf den Steg gedrückt wurde, scheuerten die Fender an einigen Stellen die blaue Farbe ab.

Stammkneipe Zilt
Bernd und Tina
Genever, Bassen-Genever und Bailey mit und ohne Eis
Festina Lente in ihrer Box
Ithaka längsseits am Steg mit Nachbarlieger im Päckchen

Wir können noch nicht weiter, es fehlt noch ein Ersatzteil, diesmal für die Festina. Wir beschließen, am Sonntag mit dem Bus nach Amsterdam zu fahren. Wegen Corona kann man keine Karten beim Fahrer kaufen, es geht nur online. Nach einer knappen Stunde vergeblicher Mühe will uns der Fahrer in der Pampa rausschmeißen. Kommentar Bernd: „Mit dem Schiff den Atlantik überqueren, das können wir. Aber bei einer Stunde Busfahrt nach Amsterdam setzt´s aus!“ Beim Aussteigen in Amsterdam Sloterdijk können wir dann endlich die elektronischen Tickets vor die Maschine halten! (Natürlich geht auch beim Rückweg wieder was schief!! Eine frühere Endstation bedeutet noch einen strammen Fußmarsch von einer guten halben Stunde bei anbrechender Nacht!)

Busfahren nach Amsterdam

Wie ist das schön, wieder einmal in einer richtigen Stadt zu sein! Wir genießen die Geschäfte, die Restaurants, das Leben in den Straßen. Die Holländer sind gleichzeitig frei und vernünftig; Maskenpflicht besteht nur in den öffentlichen Verkehrsmitteln, sonst wird auf Abstand geachtet, was um uns herum immer gelingt. So wird zum Beispiel bei der Grachtenrundfahrt nur jeder 2. Tisch belegt, Ein- und Aussteigen erfolgt geregelt.

Amsterdam
Im Café auf einer Brücke

Festinas Ersatzteil ist eingebaut. Laut Tina war Bernd dabei wieder „normal“, was bedeutet, dass es nur mit lautem Geschimpfe und Gefluche ging. Komisch, auf der Ithaka gelang ihm nach kurzem Nachdenken alles meist auf Anhieb und in äußerst souveräner Art und Weise!!!

Am Mittwochmorgen geht es auf zur allerletzten Etappe – aber durch Süßwasser! Festina und Ithaka sind beflaggt mit den Gastlandflaggen aller Länder, die wir auf unserer Reise besucht haben. Jetzt müssen wir nur noch durch die 1. Schleuse, dann sind wir im Nordseekanal. Der führt uns an Amsterdam vorbei über das Markermeer direkt ins Ijsselmeer. Auch wenn sie Meer heißen, sind letztere 2 riesige Süßwasserseen, die durch einen Deich mit Schleusen von der Nordsee abgetrennt sind. Es regnet und ist recht kalt, als wir IJmuiden bei sehr wenig Wind unter Motor verlassen.

Festina Lente verlässt IJmuiden
Ithaka mit Flaggenparade

Es wären ja nicht wir, wenn diese allerletzte Etappe ohne Aufregung verlaufen wäre! Kurz vor Amsterdam bleibt die vor uns fahrende Festina plötzlich mitten im Kanal stehen. Christoph stoppt auf. „Ihr müsst uns abschleppen, der Motor ist heiß gelaufen!“, schallt es von drüben. Das darf doch nicht wahr sein! Kann denn nicht einmal eine normale Motorfahrt durch einen ruhigen Kanal ohne Probleme verlaufen?? Obwohl noch nie gemacht, kennt sich Christoph wieder aus: „Wir müssen die Leinen so vertäuen, dass wir halb mit Zug- und halb mit Schubkräften arbeiten!“ Gesagt, getan, Ithaka und Festina sind bald verbandelt. Ithaka schleppt und schiebt mühelos und lässt sich dabei fast uneingeschränkt steuern. Trotzdem haben wir vorschriftsgemäß unsere Flaggenparade eingeholt und die Foxtrott-Flagge für „eingeschränkt manövrierfähig“ unter der Steuerbordsaling gesetzt. Bernd fragt über die Reling an, ob wir uns nicht doch eine gemeinsame Wohnung nehmen sollten, denn anscheinend könnten wir ja nicht ohne einander!!! Na ja, erstmal wieder eine gemeinsame Portion Spaghetti, denn „Hunger hilft auch nicht!“

Schleppverband

Vor der Amsterdam-Schleuse müssen wir warten. Bernd startet den abgekühlten Motor, er tut, was er soll. Wir befreien Festina. Mit reduzierter Drehzahl geht es langsam weiter Richtung Ijsselmeer, wo wir erst am Abend in der Flevo-Marina ankommen. Keiner will mehr von Bord; an diesem Abend gibt es das erste getrennte Abendessen nach über 2 Monaten! (Aber erst nach einem gemeinsamen Anlegerbier!)

Am nächsten Abend lädt Bernd Tochter Kira mit Familie und uns zum Abschiedsessen ein. Nach dem Essen im Restaurant wird auf der Festina weitergefeiert. Es ist ein komisches Gefühl, am Morgen drauf den wegfahrenden Freunden hinterherzuwinken. Aber wir wissen gemäß unserem Trinkspruch: Freunde fürs Leben! Wir werden uns wiedersehen.

Natürlich das Größte …
Rum aus Eierbechern auf der Festina
Abschied

Die Flevomarina ist zwar schön und praktisch gelegen, hat aber für uns, die wir ja weiterhin teilweise an Bord leben werden, zu wenig Infrastruktur. Wir brauchen Einkaufsmöglichkeiten, das eine oder andere Cafe oder Restaurant und eine ansprechende Umgebung. Bei strahlendem Sonnenschein und perfekten 3 bis 4 Windstärken segeln wir einen Tag später ein paar Stunden gen Norden. Wir genießen das ruhige Ijsselmeer mit nur kleinen Windwellen; gewöhnungsbedürftig sind noch das flache braune Wasser und der rege Schiffsverkehr, bei dem man sich nach langer Zeit die Vorfahrtsregeln wieder vergegenwärtigen muss. Am späteren Nachmittag machen wir in Hindeloopen fest. Wir kennen diesen hübschen Ort von einem Besuch vor 2 Jahren und fühlen uns gleich wohl. Hier wird Ithaka für ein Jahr ihren Heimathafen haben.

Hindeloopen
Ithaka hat es geschafft – in der vorläufigen Heimatbox

Auf die Frage, wie wir das Jahr bis zu unserer Rückkehr nach Aschau verbringen werden, haben wir (noch) keine Antwort. Es gibt so viele Möglichkeiten. Zunächst einmal ist es abhängig vom Gesundheitszustand meiner Mutter. Corona hat da einiges durcheinander gebracht; die geplante Heimunterbringung wollten wir ihr unter diesen Bedingungen nicht zumuten. Mit der Pflege und Betreuung durch meine Schwester geht es ihr momentan wieder besser. Jetzt sind wir erstmal ein paar Wochen an der Reihe, dann werden wir uns abwechseln. In Holland wird Ithaka vermutlich spätestens im November eingewintert; Oder geht es doch noch weiter? Vielleicht verbringen wir den Winter auch in Gütersloh, wir werden sehen.

Unser Blog neigt sich dem Ende zu. Wir sitzen noch an einem zusammenfassenden Beitrag über unsere „Learnings“. Es hat uns Freude bereitet, unser Leben auf diese Art mit euch zu teilen und in Kontakt zu bleiben. Eure Reaktionen waren oft Ansporn für uns, doch wieder frohen Mutes weiterzugehen (wenn auch oft in das nächste Chaos J). Wir würden uns wünschen, auch ohne regelmäßige Blogbeiträge weiterhin mit unseren alten und neuen Freunden im Austausch zu sein. Oft ist es nicht so einfach, zum Telefonhörer zu greifen und gefühlt in ein Leben von vor 2 Jahren oder in ein Leben inzwischen an einem ganz anderen Ort einzugreifen. Es kostet sogar mich manchmal Überwindung. Können wir wirklich da weitermachen, wo wir vor 2 Jahren oder auf einer karibischen Insel aufgehört haben? Was hat sich verändert? Haben wir uns verändert? Passt es noch oder sind die Lebensentwürfe inzwischen zu verschieden? Es wird deutlich, dass das Leben weiterhin Herausforderungen bereithält – wenn auch anderer Art. Ist ja eigentlich schön, wenn es spannend bleibt!

In diesem Sinne ganz herzliche Grüße diesmal nicht von der Ithaka, sondern aus dem in Coronazeiten sehr bekannten Gütersloh, wo ich aufgewachsen bin.

Angela

3 replies »

  1. Nun, was für eine erstaunliche Reise Sie hatten, wir sind traurig für alle in dieser gegenwärtigen Situation, viele Menschen, die wir kennen, haben ihre Träume verkürzt, aber sie waren noch jung genug, um neue Träume zu verwirklichen, was auch immer sie sein mögen? Ich liebe euch beide, seid sicher und irgendwie werden wir euch wieder irgendwo finden.

    Viele Liebe

    Steve & Helen
    xx

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  2. Liebe Angela, lieber Christoph, ich glaube, ihr könnt sehr stolz auf euch sein: Eure Fahrt war ein Wirklichkeit gewordener Lebenstraum, der uns daheimgebliebenen Bloglesern immer wieder die von Anna gestellte Frage fragen liess: „Warum tut ihr euch das an?“ Jetzt seid ihr gesund und lebendig wieder da, daheim dürft ihr ja noch ein Jahr nicht sein! Trotzdem: Ihr habt es geschafft! Wir gratulieren euch und sind froh, dass es euch gut geht und wir irgendwann einen richtig langen Dia-Abend mit euch werden genießen dürfen! 🙂 Wenn ihr Lust habt, wir hätten im Chiemgau noch ein Gästezimmer frei…….. Bis dahin: Macht es gut! Friedrich und Doro

    Von meinem iPhone gesendet

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  3. What a journey with so many mixed memories. We are honoured to have been able to share some of these memories with you both including the summer in Grenada and „that propeller“ !!!
    We’ll meet again for sure when the world settles down… perhaps we’ll all sail down to the Mediterranean and continue the party

    Much love to you

    Ian, Caroline & Charlotte

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