Mit das Spannendste an unserer Reise ist es für mich (Angela) zu erleben, was das neue Leben für Auswirkungen auf mich und auf uns hat, sowohl körperlich als auch seelisch. Völlig überrascht hat es mich z.B., dass ich am Tag des Schulanfangs im September weder traurig war noch meine Entscheidung in Frage gestellt habe. Ich war zwar in Gedanken bei meinen Kolleginnen und meinem Kollegen und den Kindern und habe ihnen viele gute Wünsche rübergebeamt, aber es war okay für mich, nicht mehr dabei zu sein. Auch das schlechte Gewissen, unsere Familien allein zu lassen, hat sich fast gelegt, denn sie geben uns das Gefühl, dass sie unsere Entscheidung respektieren und der Kontakt lässt sich wie bisher auch durch regelmäßige Telefonate aufrecht erhalten.
Genießen der Abendsonne in Lanzarote
Sehr erleichtert sind wir auch darüber, dass es sich für uns nach Jahren der Wochenendbeziehung völlig normal und selbstverständlich anfühlt, in unserer kleinen „Ferienwohnung“ 24 Stunden am Tag zusammen zu sein. Bis jetzt hatte ich noch nie das Bedürfnis, die Tür zum Motor- oder Elektroraum zuzuklappen, wenn Christoph wieder einmal in seiner Größe zusammengefaltet Stunden darin verbringt. Endlich können auch wir ein normales Leben als Paar führen!
Körperlich ist es z.B. erstaunlich, wie lange wir plötzlich schlafen können! In den letzten Jahren haben wir uns beide gefreut, wenn wir während der Arbeitszeit 6 bis 7 Stunden schlafen konnten und die innere Uhr sagte mir auch am Wochenende um 6 Uhr, dass die Schlafenszeit jetzt vorbei ist. Das ist völlig anders geworden. Wir haben inzwischen von anderen gelernt, das „sailor‘s midnight“ um 21 Uhr angesiedelt ist. Und wenn man auf einem Boot mal bis 23 oder gar 24 Uhr zusammensitzt, fühlt sich das schon fast so an wie Silvester! Wenn wir uns die Nächte nicht gerade unterwegs mit Nachtwachen um die Ohren schlagen oder in einer Bucht mit viel Schwell ankern, gehen wir tatsächlich um 10 Uhr ins Bett und stehen zwischen 8 und 9 Uhr wieder auf! Nie hätte ich mir vorher vorstellen können, dass ich es so lange an einem Stück im Bett aushalte. Aber anscheinend holen unsere Körper den versäumten Schlaf der letzten Jahre gerade nach – ob uns das vielleicht gesünder, fitter und jünger macht??
Es gibt jetzt auch eine Antwort auf die Frage, die uns vor unserer Abreise am meisten gestellt wurde: „Fühlt ihr euch nicht schrecklich, wenn ihr mitten auf dem Meer seid, ringsherum ist nur Wasser und das Land ist weit weg?“ Gott sei Dank tun wir das nicht! Wir fühlen uns sicher und geborgen auf unserem stabilen und komfortablen Schiff, das so viel mehr kann als wir. Auch in der Nacht haben wir bisher immer das Gefühl gehabt, auf einer sicheren Insel zu sein. Wenn es unangenehm wurde, wie z. B. durch Dünung von der Seite ohne Wind, war das auch nicht anders als vor der Küste. Ehrlich gesagt waren wir nach unserer ersten längeren Überfahrt heilfroh, dass es sich wirklich so anfühlte wie erwartet!
Alleine auf See
Ja und dann … Gut 6 Wochen (einmal Sommerferien!) nach unserer Abreise hatte ich plötzlich so einen komischen Druck in der Magengegend und fühlte mich unwohl. Falsch gegessen? Seekrank vom Schwell im Hafen? Mitten in der Nacht werde ich plötzlich wach und habe …. Heimweh.
Ich glaube zumindest, dass es Heimweh ist, denn so ein Gefühl hatte ich bisher noch nie! Ganz schrecklich vermisse ich plötzlich meine Freunde, die vertrauten Abende beim Italiener oder Griechen, die gemütlichen Nachmittagstees auf der Holzbank, die experimentellen Opernbesuche, die regelmäßigen Geburtstagsfeiern in der Clique, das spirituelle Philosophieren über das Leben und und und …
Und ich vermisse meine Kollegen. Ich weiß nicht mehr, wie es ihnen, ihren Kindern und Eltern, ihren Gelenken und ihrem Asthma geht und wie es mit dem einen oder anderen besonderen Kind in der Klasse weitergegangen ist. Jetzt würde ich mich sogar über Mölli mit seinem Rasenmäher unterm Fenster bei einer Lehrerkonferenz freuen! Und die Kinder! Ihre Begeisterungsfähigkeit, ihre Neugierde, ihr Mitteilungsbedürfnis und das neu gelernte „ Good morning, how are you?“ der Englischklassen, über den gesamten Pausenhof gebrüllt!
Gedanken schweifen lassen
Und es gibt hier keinen Steffel oder Roger, der mir mein wieder einmal aus dem Leim gegangenes Iliosakralgelenk wieder einrenkt, damit ich an Bord wieder schmerzfrei und ohne Voltaren herumturnen kann! Und Jutta kann mir nicht einmal die Meridiane ausstreichen!
Dann sitze ich in unserer gemütlichen Sofaecke und mache mir Gedanken darüber, wie ich jetzt mit diesen Gefühlen umgehen soll.
Home is where the anchor drops
Ja, ich bin gerade traurig, aber ich fühle mich dabei auch irgendwie sehr lebendig. Ich spüre, es ist gut und richtig, auch solche Gefühle zu durchleben und es wird mir sehr bewusst, dass ich das alles nur so sehr vermissen kann, weil es ein ganz wunderbarer Teil meines Lebens war und ist. Und ich bin so dankbar für all die Menschen und die guten Begegnungen bisher, die immer ein Teil meines Lebens sein werden und weiß, dass ich zu diesen Begegnungen noch viele neue, ganz andere hinzufügen kann, wenn ich mich darauf einlasse. Was für ein Geschenk! Jetzt muss nur noch meine Seele meinem Verstand hinterherkommen, denn der weiß schon, dass man etwas hinter sich lassen muss, um Platz für etwas Neues zu schaffen.
Ihr Lieben, ihr müsst nicht meinen, dass ich jetzt getröstet werden muss, auch wenn ich mich natürlich nach wie vor sehr über WhatsApp, Nachrichten oder Mails aus der Heimat freue. Auch ein „Das hat sie sich ja selber eingebrockt“ würde der Situation wirklich nicht gerecht. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, die richtige Entscheidung getroffen zu haben und freue mich auf all das, was uns bevor steht. Ich schreibe über meine Gefühle, damit ihr einen ehrlichen und authentischen Einblick in unser neues Leben bekommt, damit ihr wisst, was ihr mir bedeutet und damit ich so die Nähe zwischen uns ein bisschen aufrecht erhalten kann. Übrigens geht es mir heute, da ich diesen Eintrag in einem kleinen Hafen auf Fuerteventura fertig schreibe, schon wieder deutlich besser. Und wenn wir dann wieder Internet haben und diesen Beitrag ins Netz stellen können, ist der Anfall bestimmt wieder ganz vorbei!
Künstlerischer Kakteengarten auf Lanzarote
Wie schön, dass ihr alle ein Teil meines Lebens seid und mich auf diese Weise auf unserer Reise begleitet!
Herzlichst,
Angela
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Was für schöne, herzerwärmende Gedanken, auch wenn sie nach Melancholie klingen.
Ich wünsche Euch/Ihnen 🙂 weiterhin eine ganz wunderbare Zeit und freue mich sehr daran teilhaben zu dürfen! Grüße auch von Amelie
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Ganz liebe Grüße aus Aschau. Wir freuen uns über den tollen Bericht von Angela.
Wir wünschen Euch alles Gute. Herzlichst Willi und Anni
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